Andacht zum 4. Sonntag Trinitatis, 28. Juni 2015
„Hat Gott dich angemalt?“ Mit dieser Frage nähert sich das bleiche, kleine englische Mädchen schüchtern dem großen dunkelhäutigen Orientalen. Alles perfekt in Szene gesetzt, eben ganz Hollywood, in einem Kinostreifen, der im Mittelalter spielt. Ich will nicht abstreiten, dass ich in diesem Fall – auch – ein Opfer der cineastischen Kunst bin.
Die Frage geht mir aber nicht nur zu Herzen, sondern bleibt auch in meinem Kopf. Denn sie symbolisiert für mich einen guten Weg des Lebens: mit offenen Augen alles, was begegnet, aufnehmen; Fragen stellen, um zu verstehen; Gott ganz selbstverständlich Raum im Leben geben. Weite und Grenze, Freiheit und Verantwortung treten hier in Erscheinung und verbinden sich zu einem Rahmen.
So hat auch das Mädchen die Weite der persönlichen Kreativität genutzt und sich den Grund für die farbige Haut des Orientalen erdacht: „Er wurde angemalt“. Gleichzeitig bestimmt es für diese malerische Tätigkeit eine klar handelnde Person und setzt damit eine Grenze. Es grenzt verletzende Willkür aus, die deutlich wird, wenn man die Frage ohne den Gottesbezug formuliert: „Wer hat Dich denn angemalt?“ oder „Bist Du angemalt?“ In der Freiheit seiner Gedanken achtet das Kind seine menschlichen Grenzen. Es sieht in Gott ein allmächtiges Gegenüber, dem es ein Handeln zutraut, das über menschliche Möglichkeiten hinausgeht.
Das mittelalterliche Denken gab Gott ganz selbstverständlich Raum im Leben. Und damit war Gott Orientierungspunkt. In unserem modernen, durch Aufklärung und durch viele wissenschaftliche Entdeckungen, Erfahrungen, sowie Möglichkeiten geprägten Denken ist das nicht mehr so. Darum bleibt die hier genannte Filmszene so einschneidend in meinem Kopf, weil sie zeigt, wie gut dieser alte Blick aufs Leben ist. Er setzt einen Rahmen für das Fragen und Suchen nach Antworten, der von Weite und Grenze, Freiheit und Verantwortung geprägt ist. Und damit zeigt dieser Weg, das Leben gedanklich zu erfassen, Grenzüberschreitung, Willkür und Verantwortungslosigkeit auf und kann sie sogar ausschließen.
von Beatrix Eulenstein, Pfarrerin mit sozial-diakonischen Aufgaben im Evangelischen Kirchenkreis Halle