Jesus schleppt mit qualerfülltem Blick das Kreuz. Die Dornenkrone wird ihm aufs Haupt gesetzt.
Die Bilder, die das Haller Museum für Kindheits- und Jugendwerke seit Neuestem in seinem Besitz hat, zeigen die letzten Stationen im Leben des Messias, seinen Kreuzweg. Museumsleiterin Ursula Blaschke plante ursprünglich zu Ostern die 14 großformatigen Werke rund um die St. Johanniskirche unter freiem Himmel zu zeigen und diese Eröffnung mit einer Vernissage unter Einbeziehung der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden vor Ort durchzuführen.
Doch die Corona-Verordnungen lassen eine solche Großveranstaltung nicht zu. Stattdessen wird nun exemplarisch zumindest eines der Kreuzweg-Bilder, wenn es die Situation zulässt auch alle - am Karfreitag auf dem Kirchplatz zu sehen sein, bei Regenwetter im Eingang des Museums. Bei der Eröffnung um 14.30 Uhr wird es keine Ansprache geben. Der Kreuzweg soll, wenn alles nach Plan läuft, Ostersamstag und -sonntag auch zu sehen sein.
Die Werke sollen alle Passanten daran erinnern, das es Erlösung geben kann und Hoffnung immer weiter gibt. „Wir haben noch zu und wollen es deshalb rausbringen auf den Kirchplatz“, sagt Ursula Blaschke, die in den Kreuzweg-Bildern einen aktuellen Bezug zur Corona-Pandemie sieht. „Wir sind den Kreuzweg gegangen und es ist jetzt hoffentlich zu ende“, sagt sie mit Hinblick auf die steigenden Zahlen der Geimpften.
Christliche Themen sind kein Novum für das zwar kleine, aber international sehr renommierte Haus. In den 1990ern gab es im Museum die Ausstellung „Otto Dix und die Bibel“, für die Ursula Blaschke es schaffte den „Heiligen Christophorus“ von Dix , der noch nie zuvor verliehen wurde, aus dem Vatikan zu bekommen. Diese Sensation wirkt auch heute noch nach und brachte Ursula Blaschke den entscheidenden Tipp zu den Kreuzweg-Bildern ein, die bis dato in Frankreich in einem Kloster untergebracht waren.
Die rund 100 Jahre alten Werke sind Kreuzwegbilder der Wiedenbrücker Schule.
Mit der Wiedenbrücker Schule wird das in Rheda-Wiedenbrück und seiner näheren Umgebung im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts blühende Kunsthandwerk des Historismus bezeichnet. Es handelte sich dabei um einen lokalen Verbund von Werkstätten mit sich gegenseitig ergänzenden Spezialisierungen. In diesen Werkstätten wurde in der Zeit zwischen 1854 und 1920 vorwiegend kirchliche Ausstattungskunst hergestellt.
In dieser Zeit weitreichender internationaler Migration und vor dem Hintergrund des deutschen Kolonialismus breitete sich die Reputation der Wiedenbrücker Schule weit über die Grenzen Deutschlands hinaus aus. Dementsprechend stieg die weltweite Nachfrage nach Wiedenbrücker Kunsthandwerk; nicht zuletzt wegen der Erschließung neuer deutscher Siedlungsgebiete. Aufträge kamen in jener Zeit aus vielen europäischen Staaten, aber auch aus Kanada, den USA, Lateinamerika und sogar Zentral-Afrika und Asien.
Auch die Kreuzwegbilder wurden damals in die ganze Welt verkauft und als Auftragsarbeiten immer wieder neu gestaltet je nach nationalen Vorlieben. In China wollte man einen Jesus mit asiatischen Zügen, also bekam man diesen auch. Die 14 nun im Haller Museum befindlichen Bilder sind allerdings sehr westfälisch.
Weil Kreuzwege oft von Spendern aus der Gemeinde bezahlt wurden, kann auf manchem Bild auch das Konterfei eines Wiedenbrücker Bürgers zu sehen sein. Manchmal standen auch Nachbarn und Freunde Modell für die biblischen Figuren, die deshalb teils typisch westfälische Konterfeis haben und zuweilen gar an die Figuren Böckstiegels mit ihren typischen Gesichtszügen und rotbraunen Haaren erinnern.
Einige der Ölmalereien mit vergoldeten Rahmen müssen bis zur offiziellen Ausstellungseröffnung noch restauriert werden. Mit Picasso, Paul Klee und Chagall, deren Werke auch im Museum zu finden sind, können die Kreuzwegbilder vom künstlerischen Wert nicht mithalten. Aber sie sollen ein „Beitrag zum Trost für diese schreckliche Zeit“ sein und eine Möglichkeit, Kultur für alle Menschen wieder zugängig zu machen.
„Es ist eine wichtige Aktion nach diesem ganzen Leid und dieser Angst. Wir möchten mit der Ausstellung Hoffnung geben für die Menschen“, sagt Ursula Blaschke.
Künftig sollen die Bilder im Museum über 4 Stockwerke verteilt einen neuen Kreuzweg bilden, den die Besucher abgehen können.