Gut besucht war die Veranstaltung in der Seniorenbegegnungsstätte Haus Tiefenstraße, Werther, mit Professor em. Matitjahu Kellig, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Detmold-Herford. Der international bekannte Pianist, Dirigent und Musikwissenschaftler hat in über sechzig Ländern gastiert. Einführend erinnerte der Referent nach der Begrüßung durch die Leiterin des Hauses, Claudia Seidel, an die kurze Phase in der deutschen Geschichte, in der Juden uneingeschränkt über staatsbürgerliche Rechte verfügt haben. Aber genau das müsse Normalität sein und das müsse immer wieder eingefordert werden.
Er machte weiter klar, dass Juden deutsche Staatsbürger sind, und als solche sind sie etwa nicht für die Politik Israels verantwortlich zu machen, über dessen Existenz Professor Kellig sehr froh ist, aber er möchte als deutscher Staatsbürger wahrgenommen werden.
Der Referent stellte klar: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber Menschen wiederholen Geschichte, wenn auch nicht 1:1."
Das jüdische Leben in Deutschland ist allerdings leider kein normales Leben: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen stehen unter intensiven Polizeischutz, sind Hochsicherheitsgebäude. In Herford stehen drei Streifenwagen vor der 2009 wiedereröffneten Synagoge. Professor Kellig wurde vom NPD-Mann Sascha Krolzig in schlimmster Weise verbal angegriffen und er brachte das zur Anzeige, was zur Verurteilung des Straftäters geführt hat. Juden wünschen sich Normalität. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, eine Kippa zu tragen oder eine Halskette mit einem Davidstern. So selbstverständlich, wie eine Nonnen oder ein Mönch das Habit in der Öffentlichkeit tragen. Es müsse möglich sein, sich offen zu einer Religion zu bekennen, ohne dafür angefeindet oder gar angegriffen zu werden.
Bedenklich stimmt ihn die bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Verharmlosung des Antisemitismus in seinen verschiedenen "Spielarten". Nach Einschätzung des Referenten ist dabei der versteckte Antisemitismus schlimmer und gefährlicher als der ungeschminkte. Damit haben wir uns zu beschäftigen, ansonsten gleichen wir Corona-Leugnern, welche die Gefahren einer Pandemie so lange leugnen, bis sie selbst davon betroffen sind. Es geht also um das Benennen der Gefahren und es geht um die Perspektive.
Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen muss jüdisches Leben der breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht werden. Professor Kellig und sein Team laden deshalb in die Herforder Synagoge ein, zu Lesungen, zu Konzerten und zum Dialog. Dazu zählt er auch den jüdisch-muslimischen Dialog, den er beschritten hat. Er war zum Freitagsgebet in der Moschee, und inzwischen haben ein Iman und Glieder der Moscheegemeinde die Synagoge besucht.
Ein neues Projekt von Professor Kellig ist der Toleranz- Tunnel (www.toleranz-tunnel.de). In Mexiko sah er einen "Tunnel der Erinnerung und der Toleranz" und angesichts der "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" nahm er diese Idee mit nach Deutschland. Inzwischen gibt es den "Toleranz-Tunnel e.V.", über den der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die Schirmherrschaft übernommen hat. Als niedrigschwellige Wanderausstellung soll der Tunnel nach mexikanischen Vorbild zur Toleranz etwa unterschiedlicher Religionen einladen und ermutigen, wobei Professor Kellig noch auf einen Unterschied hingewiesen hat: Im zwischenmenschlichen Bereich ginge es noch um mehr als Toleranz, nämlich um Respekt. Der Tunnel, in dem Genozide der Vergangenheit und Gegenwart dokumentiert werden, will auch zur Zivilcourage ermutigen, damit jeder Art von Anfängen gewehrt wird. Darum soll der Tunnel durch unsere Bundesrepublik Deutschland an verschiedenen öffentlichen Plätzen aufgestellt werden und zum Gespräch einladen, zur Erinnerung, Respekt, Toleranz und Mitmenschlichkeit beitragen. Dafür engagiert sich der Referent federführend.
Und sein Leitsatz dabei lautet: "Damit das Böse gedeiht, braucht es nur gute Menschen, die nichts unternehmen", so zitierte er Simon Wiesenthal (1908-2005).
Nach seinem Vortrag stellte er sich gern den Fragen der Besucher, und Claudia Seidel, Leiterin der Seniorenbegegnungsstätte von Haus Tiefenstraße stellte dem Referenten bereits einen Besuch mit einer Gruppe aus Werther in Aussicht und wurde durch dabei von Professor Kellig zu diesem Besuch ermutigt.